EUROPAWAHL: EIN KLIMA DER ANGST

Nach dem Angriff auf den SPD-Kandidaten Matthias Ecke und weitere Politiker stellen sich viele Fragen: Wie wird die Gewalt gegen Politiker den Wahlkampf beeinflussen? Und: Wer ist für diese Stimmung im Land verantwortlich?

Ein Klima der Angst

In Deutschland zeichnet sich ein Wahlkampf der Angst ab. Rund fünf Wochen vor der Europawahl am 9. Juni häuften sich in den vergangenen Tagen Angriffe gegen Politiker und Wahlkampfhelfer quer durch die Bundesrepublik: In Dresden, wo mehrere Täter den SPD-Europaabgeordneten Matthias Ecke am Freitagabend beim Aufhängen von Wahlplakaten krankenhausreif prügelten. In Essen, wo zuvor Unbekannte den Bundestagsabgeordneten Kai Gehring und Rolf Fliß, den dritten Bürgermeister der Stadt, anpöbelten und Fliß nach eigenen Angaben ins Gesicht schlugen. Im niedersächsischen Nordhorn, wo Vermummte am Samstag den AfD-Landtagsabgeordneter Holger Kühnlenz an einem Infostand attackierten, er soll ebenfalls ins Gesicht geschlagen worden sein.

Es ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die sich seit Jahren zeigt, offenbar befeuert durch die anstehenden Wahlen. Nach der Europawahl stehen im September Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg an. Bei Auftritten, an Werbeständen und beim Plakatekleben geht es nicht mehr nur um die Inhalte, es geht mehr und mehr darum, ob man danach noch unversehrt nach Hause kommt.

Drohungen gibt es schon lange

Der Generalsekretär der SPD in Brandenburg, David Kolesnyk, sagt, im Landesverband seien nun viele Helfer besorgt. Es sei der Eindruck entstanden: "Das geht grundsätzlich gegen alle, auch gegen Unterstützer." Adelheid Noack, Kreisgeschäftsführerin der Linken in Westsachsen, sagt: "Wir sind alle schockiert." Die Erfahrung, dass Mitglieder im Wahlkampf, beim Plakatieren oder an Infoständen, bedroht werden, machen sie allerdings schon "seit Jahren". Man lasse schon Langem niemanden mehr alleine plakatieren, in den Landkreisen nicht abends oder nachts, das sei inzwischen Standard. Nicht jeder in der Partei sei bereit, das Risiko einzugehen: "Es gibt bei uns schon immer Leute, die sagen: Sie trauen sich nicht."

Am Sonntag war zunächst nicht klar, welche Beweggründe hinter den Taten stecken, inwiefern sie extremistisch motiviert waren, geplant waren oder spontan. Klar aber ist: Ecke hängte Plakate auf, er war als SPD-Kandidat erkennbar, ebenso Kühnlenz und die beiden Grünen-Politiker Fliß und Gehring. Fliß war zusammen mit Gehring von einem Parteitreffen gekommen, als sie von Passanten erkannt und um Selfies gebeten wurden. "Es war eine Allerwelts-Situation, wie ich sie schon tausendmal erlebt habe", schildert Fliß der SZ den Moment, "wir waren völlig arglos."

Plötzlich seien beide als "grüne Nazis" und "grüne Faschos" beschimpft worden

Plötzlich seien beide aus einer Gruppe heraus als "grüne Nazis" und "grüne Faschos" beschimpft worden, dann habe ihm ein Unbekannter "mit einem Prankenhieb ins Gesicht geschlagen." Ein zweiter Faustschlag traf den 65-Jährigen am Hals. Zu Motiv oder Herkunft des Täters könne er nichts sagen, so Fliß, aber: "Das war eindeutig ein Angriff auf Grüne." Die Angreifer flohen in einem Taxi, der Staatsschutz ermittelt.

Wer ist für diese Stimmung verantwortlich? Dafür, dass Menschen glauben, Gewalt gegen politische Gegner anwenden zu können? Am Wochenende richtete sich die Kritik zuvorderst gegen die AfD, die seit Jahren für die Verrohung der politischen Debatte verantwortlich gemacht wird. Die sächsischen SPD-Landesparteivorsitzenden Henning Homann und Kathrin Michel erklärten: "Die Saat, die AfD und andere Rechtsextreme gesät haben, geht auf." Der SZ sagte Homann, die AfD habe eine deutliche Mitverantwortung dafür, dass Gewalt als politisch legitimes Mittel salonfähig werde und das gesellschaftliche Klima vergiftet werde. "Diese Schlägertrupps, die wir hier erleben, sind Ausdruck davon."

Homann hält die Solidaritätsbekundungen der AfD für unglaubwürdige Heuchelei

In der AfD-Spitze weist man dies weit von sich. "Wir wünschen Herrn Ecke eine rasche und vollständige Genesung", teilte AfD-Chefin Alice Weidel der SZ mit. "Gewalt darf kein Teil der politischen Auseinandersetzung sein. Solche Taten müssen rigoros verfolgt werden." Besonders häufig allerdings seien Politiker und Mitglieder der AfD Ziel von gewalttätigen Angriffen, "wie gerade erst unser Landtagsabgeordneter Holger Kühnlenz aus Nordhorn." Die Kritik von Homann und Michel sei der Versuch, einen solchen Vorfall zu instrumentalisieren, dies sei "niederträchtig und verantwortungslos".

Homann sagte, er halte die Solidaritätsbekundungen der AfD für unglaubwürdige Heuchelei. "Ich muss ehrlicherweise sagen, das ekelt mich an." Homann spricht von mindestens 10 gewalttätigen Angriffen vor allem auf SPD und Linke seit Plakatierstart in Sachsen vergangenes Wochenende.

Weidel und ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla haben die Billigung von Gewalt oder Straftaten immer wieder verurteilt, andere AfD-Politiker aber zeigen offen Verständnis dafür. Als Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) im Januar im schleswig-holsteinischen Schlüttsiel von Protestierenden daran gehindert wurde, seine Fähre zu verlassen, spottete Beatrix von Storch, Vizechefin der AfD-Bundestagsfraktion, auf der Plattform X, offenbar in Anspielung auf sogenannte Klimakleber: "Echt jetzt? ,Polizei prüft Ermittlungen wegen Nötigung' wegen Bauernprotest in Schüttsiel ??? Da hätten die sich wohl besser an den Anleger geklebt, was?!"

Nachdem sich der Verschwörungsideologe Oliver Janich dafür ausgesprochen hatte, deutsche Regierungsmitglieder und den jüdischen Mäzen George Soros umzubringen, wurde er 2022 festgenommen und zu zehn Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, unter anderem wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten und Billigung von Straftaten. Der Thüringer AfD-Vorsitzende Björn Höcke aber bezeichnete ihn als "politischen Gefangenen".

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