WIRTSCHAFTSPRüFER: EY IM VISIER – WIRECARD-KLäGER WOLLEN UMBAU FüR NICHTIG ERKLäREN LASSEN

Vertreter einstiger Wirecard-Aktionäre werfen dem Wirtschaftsprüfer Rechtsmissbrauch vor. Sie wollen auch die Beratungseinheiten des Konzerns für Schadenersatz in Anspruch nehmen.

Auf die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY kommt nach ihrer umstrittenen Umstrukturierung neuer Ärger zu. Mit dem Fall Wirecard befasste Klägerkanzleien verstärken ihr Vorgehen gegen die gesellschaftsrechtliche Neuordnung des Unternehmens in Deutschland. Sie wollen den Umbau für nichtig erklären lassen und erreichen, dass EY weiterhin mit dem gesamten Vermögen für mögliche Schadenersatzzahlungen haftet.

Der von Mattil vertretene frühere Wirecard-Aktionär Kurt Ebert will nun die drei EY-Einheiten, in der nach der gesellschaftsrechtlichen Umwandlung weite Teile des Unternehmensvermögens liegen, verklagen. Ebert und seine Anwälte halten die Umstrukturierung für „rechtsmissbräuchlich und sittenwidrig“ und wollen vor Gericht erwirken, dass sie für nichtig erklärt wird. Sie werfen EY vor, die Umwandlung gezielt einzusetzen, um Schadenersatzansprüche von Gläubigern im Wirecard-Skandal auszuhebeln.

Umbau bei EY mit weitreichenden Folgen

EY muss sich im Wirecard-Skandal mit Klagen in Milliardenhöhe auseinandersetzen. Die Prüfer hatten die Bilanzen des Konzerns rund ein Jahrzehnt lang uneingeschränkt abgesegnet. Im Juni 2020 rutschte Wirecard dann infolge eines milliardenschweren Bilanzbetrugs in die Insolvenz. Die Wirtschaftsprüferaufsicht Apas hatte EY im vergangenen Jahr erhebliche Pflichtverletzungen attestiert.

Das Unternehmen nahm Anfang Februar eine großflächige Umstrukturierung seines Deutschlandgeschäfts vor und wandelte sich in eine Kommanditgesellschaft (KG) um. Im gleichen Zuge wurden die Geschäfte mit Steuerberatung, Strategieberatung und Consulting rechtlich stärker von der Wirtschaftsprüfung getrennt.

Bei Vertretern von Wirecard-Gläubigern sorgte dies für Alarmstimmung, insbesondere weil direkt nach dieser Umwandlung die neu geschaffenen Einheiten für Steuerberatung (EY Tax), Strategieberatung (EY Strategy & Transactions) sowie Consulting (EY Consulting) die frisch gegründete KG schon wieder verließen.

Dieser Schritt verändert die Haftung der drei Einheiten: Sie müssen nur noch für fünf Jahre für finanzielle Folgen aus dem Wirecard-Skandal geradestehen – und das auch nur mit niedrigen Millionenbeträgen. Hingegen nehmen sie den überwiegenden Teil des EY-Vermögens mit. Die Beratungseinheiten stehen für drei Viertel des Jahresumsatzes in Deutschland von zuletzt gut 2,6 Milliarden Euro. 8000 der 11.000 EY-Mitarbeitenden sind in ihnen beschäftigt.

Das Vermögen steht in der neuen EY GmbH & Co. KG nicht mehr zur Verfügung, gegen die sich die Schadenersatzklagen richten. „Es ist so, als ob VW nach dem Dieselskandal das gesamte Autogeschäft aus dem Konzern ausgegliedert hätte, um Ansprüche gegen das Unternehmen möglichst ins Leere laufen zu lassen“, sagt Klägeranwalt Peter Mattil.

Er will deshalb für seinen Mandanten Ebert gleich auf zwei Wegen gegen EY vorgehen. Mit einer Klage gegen die Kommanditgesellschaft zielt er darauf ab, dass die Umwandlung für nichtig erklärt wird. Über die zweite Klage sollen die drei Einheiten EY Tax, EY Strategy & Transactions sowie EY Consulting in Anspruch genommen werden.

Das Ziel: EY soll mit dem gesamten Vermögen haften, das vor der Umwandlung Anfang Februar in der beklagten Gesellschaft vorhanden war. Die neu geschaffenen Einheiten sollen die gesamten Rechtsrisiken weiter tragen.

Klägeranwalt: „Entwertung der Gesellschaft“

EY wollte sich zu der Klage und den Vorwürfen nicht äußern. Das Unternehmen begründet den Umbau mit der Anpassung an die Struktur der internationalen EY-Organisation und mit der stärkeren Trennung von Prüfung und Beratung. Der Weg über die KG-Umwandlung erfolge aus steuerlichen Gründen. „Die vorgenommenen gesellschaftsrechtlichen Veränderungen haben keinerlei Auswirkungen auf die Haftungsrisiken für bestehende und abgeschlossene Mandate oder auf laufende Zivilverfahren“, schreibt EY mit Bezug auf den Wirecard-Fall.

Das bewerten die Klägerkanzleien anders. Prozessanwalt Joachim Lenhardt, der die Interessen institutioneller Investoren mit einem Forderungsvolumen von über 500 Millionen Euro vertritt, sieht in der Umstrukturierung eine „Entwertung der Gesellschaft, die Adressat der Klagen aus dem Wirecard-Komplex ist“.

Es sei der „Versuch, sich faktisch einer möglichen Haftung zu entziehen oder die Durchsetzung von Ansprüchen zumindest erheblich zu erschweren“, sagt der Jurist der Kanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan.

Neben Klagen suchen die Anwälte nach weiteren Wegen, damit die Kläger im Erfolgsfall bei EY nicht leer ausgehen, weil keine ausreichende Haftungsmasse vorliegt. So will die Berliner Kanzlei Schirp erreichen, dass EY eine Sicherheitsleistung in Form einer Bürgschaft oder Hinterlegung tätigen muss, die den Schadenersatzforderungen der Kläger entspricht.

Die Kanzlei will dabei nicht nur die neu gegründete und geschrumpfte KG in Anspruch nehmen, sondern auch die drei ausgetretenen und eigenständigen Beratungseinheiten.

Prüfungsexperte hält Ängste für berechtigt

Aus Sicht von Prüfungs- und Rechtsexperten sind die Befürchtungen der Kläger berechtigt. „Im Erfolgsfall stehen ihnen zukünftig nur noch das Vermögen und die Erträge des Wirtschaftsprüfungsgeschäfts von EY zur Befriedigung zur Verfügung“, sagt Hansrudi Lenz, früherer Professor an der Universität Würzburg. Diese Einheit ist als einzige in der KG verblieben.

Lenz hat den EY-Umbau tiefgehend analysiert und sieht darin ein geschicktes rechtliches Vorgehen. Dass EY zur Hinterlegung einer Sicherheitsleistung gezwungen wird, hält er für sehr unwahrscheinlich. Weil die Kläger bereits vor Gericht gezogen sind, seien ihre Ansprüche fällig gestellt. Damit greife das Recht zum Sicherheitsverlangen nicht mehr.

Der Prüfungsexperte hält für absehbar, dass die Schadenersatzprozesse zwischen EY und den Wirecard-Klägern länger als fünf Jahre dauern werden. EY werde wohl durch alle Instanzen gehen. Die drei Beratungseinheiten des Unternehmens wären dann komplett von der Haftung befreit.

Bis dahin haften sie laut Gesellschaftsrecht ohnehin nur mit einer Summe von 7,2 Millionen Euro. Das sei angesichts der geltend gemachten Schadenersatzansprüche von mehr als zwei Milliarden Euro „natürlich nur ein Tropfen auf einen heißen Stein“, sagt Rechtsexperte Lenz.

Er sieht Auswirkungen über den Fall Wirecard hinaus: „Aufsichtsräte, die zukünftig Prüfungsmandate an EY vergeben, wissen, dass bei diesem Abschlussprüfer im Vergleich zu den übrigen drei Big-Four-Gesellschaften im Schadenfall weniger zu holen sein wird.“

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